Depeche Mode


Depeche Mode

DEPECHE MODE: „Wir müssen neu lernen, wie wir miteinander umgehen“

Sie haben sich noch mal aufgerafft. 43 Jahre nach Bandgründung, sechs Jahre nach dem letzten Werk „Spirit“ und ein knappes Jahr nach dem Tod von Keyboarder Andrew Fletcher veröffentlichen Depeche Mode – nun nur noch bestehend aus Dave Gahan (60) und Martin Gore (61) – das neue Album „Memento Mori“. Ende März dann brechen sie zur Welttournee auf, die sie ab dem Spätfrühling auch zu uns führt. Das Tolle: An der Platte gibt es nichts zu meckern. Dave ist hervorragend bei Stimme, die Songs sind dynamisch, kraftvoll und bewegend, die Produktion von James Ford und Marta Salogni klingt knackfrisch. Wir sprachen in zwei separaten Zoom-Interviews mit Martin Gore und Dave Gahan.

Dave, Martin, die Depeche-Mode-Maschine rollt wieder. Seid ihr bereit?

Dave Gahan: Wenn du wieder als Depeche Mode in Erscheinung trittst, musst du vorbereitet sein, körperlich und mental. Ich habe schon Mitte 2022 angefangen, jeden Tag zu singen und meine Übungen zu machen. Täglich stehen bis zum Tourauftakt Ende März mindestens zwei Stunden Sport auf dem Programm, Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, ich lerne meinen Körper gerade ganz neu kennen (lacht).

Hört sich schon auch anstrengend an

Gore: Was unser Durchhaltevermögen speziell auf Tournee betrifft, bin ich nicht besonders besorgt. Ich weiß noch, wie es mir beim letzten Mal an einem Abend nicht besonders gut ging. Ich hatte Angst, die Show nicht durchzustehen, aber dann ging ich auf die Bühne, und das Publikum hat mich wirklich aufgebaut und getragen. Ich bin anschließend zu unserem Manager gegangen und meinte zu ihm: „Die Fans haben mich geheilt“ (lacht). Sorgen macht mir eher das viele Herumreisen. Man fängt sich ja schnell was ein, und wenn man Pech hat, steht dann die ganze Unternehmung still.

Auch „Memento Mori“ selbst hat – bei aller Melancholie – seine aufbauenden und geradezu aufbrausenden Momente.

Gore: Es ist massiv, nicht wahr (lacht). Ich war wirklich, wie soll ich es ausdrücken, heiß, als ich diese Songs schrieb und begann, sie im Studio zu bearbeiten. „Ghosts Again“ ist zum Beispiel ein Song von einer Qualität, wie sie uns nur alle zehn bis fünfzehn Jahre gelingt. Wir spielen und proben ihn gerade andauernd, und sind immer noch nicht von ihm gelangweilt.

Gahan: „Ghosts Again“ war einer der ersten Songs, die Martin mir vorspielte. Die Nummer war mitausschlaggebend dafür, dass ich doch wieder Lust bekam auf ein weiteres Depeche-Mode-Abenteuer. Auch „My Favourite Stranger“ oder „Caroline’s Monkey“ finde ich super mitreißend.

Warum genau?

Gahan: Einen Song wie „Caroline’s Monkey“ hatte ich von Martin in vierzig Jahren noch nicht gehört und auch nicht erwartet. Ich fand es irgendwie total cool, dass es ihm noch der ganzen Zeit noch gelungen ist, mich zu überraschen.

Dave, du sollst zunächst gar nicht so große Lust auf ein neues Depeche-Mode-Album gehabt haben.

Gahan: Das ist richtig, solche Überlegungen hatte ich angestellt. Ich fühlte mich ganz wohl mit meinem Leben und meinem vergleichsweise kleinen „Imposter“-Soloalbum 2021. Meine Lust auf Depeche Mode war nicht riesig, und ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich ein weiteres Album, eine weitere Tour in mir spürte. Ich hatte einen Hänger, was Depeche betraf. Glücklicherweise verflogen meine Bedenken nach und nach. Vor allem, nachdem ich Martins Songs gehört hatte und auch mir selbst wieder mit „Speak To Me“ und „Before We Drown“ ein paar gute Nummern eingefallen waren.

Martin, was gab bei dir den Ausschlag, mit dem Schreiben eines neuen Albums zu beginnen?

Gore: Mir ging es nicht so wie Dave. Ich hatte nicht infrage gestellt, eine weitere Platte zu machen. Aber ich bin diesmal deutlich anders an die Sache herangegangen, indem ich auf vier Songs mit Richard Butler, dem Sänger der Psychedelic Furs, zusammenarbeitete, unter anderem auch auf „Ghosts Again“.

Wie kam es dazu?

Gore: Ich glaube, es war im April 2020, als Richard mir schrieb und meinte „Ich glaube, wir sollten unbedingt mal was zusammen machen“. Ich dachte, warum eigentlich nicht, vielleicht kommt ja was dabei herum für ein Nebenprojekt oder so. Wir schickten uns gegenseitig Ideen, ich mochte seine Sachen wirklich super gerne, und irgendwann 2021 fragte ich ihn, was er davon hielte, wenn ich unsere Songs für Depeche Mode nutze. Richard war von der Idee sehr angetan.

Es gibt mit „Wagging Tongue“ sogar einen gemeinsamen Gore-Gahan-Song auf „Memento Mori“.

Gahan: Genau, der allererste von uns beiden, der es je auf ein Album geschafft hat. Ich fühlte schon früh, dass wir hier richtig gut den Ton getroffen haben.

Gore: Die Melodie ist exzellent, und der ganze Song hat etwas Berauschendes. Er ist positiv, er ist Pop, aber er ist auch nicht zu sehr Pop.

Kann man sagen, dass der Tod schon von Anfang an ein prägendes Thema für Depeche Mode gewesen?

Gore: Wir neigen schon zur dunklen Seite, zum Melancholischen, manchmal Morbiden. Dieses Mal allerdings war der Tod, war das Sterben, allgegenwärtiger. Die 60 war wie gesagt ein Weckruf, der mich nicht unberührt gelassen hat. Und es hat mich auch mitgenommen, wie vor allem zu Anfang der Pandemie die Toten praktisch per Liveticker gezählt wurden.

Dave, du wärst ein paar Mal fast tot gewesen. In deiner Patientenakte stehen unter anderem ein Suizidversuch, ein Herzstillstand nach Drogenüberdosis und ein Blasentumor. Stehst du dem Leben anders gegenüber, wenn du mit dem Tod bereits intim warst?

Gahan: Ab und zu ertappe ich mich dabei, dass mir der Gedanke an mein Ende durch den Kopf geht. Ich weiß nicht, wann das sein wird, oder wie, oder warum. Ich hoffe sehr, der Tod holt mich nicht so bald. Denn ich liebe mein Leben, meine Frau, unsere mittlerweile erwachsenen Kinder, die Freunde, unsere Katzen. Es macht mich glücklich, mit denen zusammen zu sein. Und ich brauche gar nicht viel. Ich liebe schöne Abende bei gutem Essen und guten Unterhaltungen. Mit 30 wäre ich stattdessen immer auf der Suche nach der nächsten Ekstase, der nächsten Eskalation gewesen. Mit 60 blicke ich voller Dankbarkeit auf mein Leben und die kleinen Freuden des Alltags.

Wie zum Beispiel?

Gahan: Spaziergänge am menschenleeren Strand der Hamptons, wo wir ein Ferienhaus haben, am liebsten im Winter.

Am 26. Mai 2022, mitten in der Albumproduktion, starb urplötzlich euer Keyboarder Andrew Fletcher an einem Riss der Hauptschlagader. Wie habt ihr auf den Schock und den Verlust reagiert?

Gore: Mit Entsetzen. Niemand hat das kommen sehen.

Gore: In der ersten Phase ging es nur darum, zu funktionieren. Dabei hat uns die Arbeit sehr geholfen. Wir haben weiter gemacht mit „Memento Mori“, unsere Gehirne irgendwie beschäftigt gehalten, uns betäubt.

Stand die Band als solche zur Debatte?

Gore: Nein, ich rief Dave an und sagte zu ihm: „Wir sollten weitermachen, oder?“ Dave stimmte mir sofort zu, es gab in diesem Punkt keine zwei Meinungen. Wir waren froh, dass wir die Musik hatten. Mental war es wichtig, uns auf Depeche Mode fokussieren zu können.

Gahan: Aber durch Andys Tod ist nichts mehr, wie es war.

Angefangen beim Offensichtlichen.

Gahan: Es sind nur noch wir zwei übrig.

Gore: Wir müssen ganz neu lernen, wie wir miteinander umgehen, miteinander arbeiten. (Pause). Die erste Fotosession mit Anton Corbijn, das erste Video mit Anton, das erste Mal zusammen im Probenraum – das ist anders, als es mit Andy war.

Hat sich euer Verhältnis durch den Tod eures Freundes und Kollegen verändert?

Gore: Ja. Wir sind immer noch dabei, herauszufinden, wie die Dinge zu zweit funktionieren. Dave und ich hatten nie so eine extrem enge Bindung, wir standen uns persönlich immer auch etwas reserviert gegenüber.

Gahan: Wir hatten nie darüber gesprochen, was aus unserer Band wird, wenn einer von uns nicht mehr da ist. Nun ist jede Entscheidung, die wir treffen, eine Entscheidung von uns beiden. Das heißt, es gibt kein 2:1 mehr. Sondern wir haben keine andere Wahl, als strittige Fragen auszudiskutieren. Wir kommunizieren viel intensiver und einfach auch mehr als früher.

Gore: Wir hatten uns zum Beispiel früher nie online unterhalten, jetzt machen wir das ständig. Und wir reden auch mehr über persönliche Dinge. „Wie geht es der Familie“, und solche Sachen. Das war früher auch nicht so alltäglich bei uns.

Gahan: Ein bisschen ist es so, als würden wir uns nach mehr als vierzig Jahren gerade zum zweiten Mal kennenlernen.

Welches ist der neueste Song auf „Memento Mori“?

Gore: Das ist gleich der erste, „My Cosmos Is Mine“. Ich schrieb ihn kurz, nachdem Russland die Ukraine überfallen hatte. Ich dachte „Wieviel sollen wir denn noch ertragen? Was wird uns noch alles zugemutet?“ Und meine erste Reaktion war zu sagen: Ich ziehe mich in meine eigene kleine Welt zurück, lasst mich alle in Ruhe. In dem Song geht es darum, inmitten der Machtlosigkeit sein Innerstes zu schützen gegenüber den Stürmen der Welt und sich, zusammen mit seinem Liebsten, am liebsten irgendwo verkriechen zu wollen. Was natürlich kurzsichtig ist, denn wir müssen die Verantwortung für unsere Erde übernehmen, sonst werden wir bald alle nicht mehr hier sein.

Don’t Say You Love Me“ oder „Soul With Me“ haben die Anmutung von James-Bond-Titelsongs. Warum habt ihr eigentlich nie einen gemacht?

Gore: Äh, wir sind nie gefragt worden. Ich weiß auch nicht, ob das unser Ding gewesen wäre. Vielleicht waren wir einfach nicht die Richtigen für diesen Job.

Andere Songs klingen stark nach den klassischen Depeche Mode, will sagen: nach den Achtzigern. Ist das eine bewusste Rückbesinnung?

Gore: Eine Reihe von Leuten, mit denen wir gesprochen haben, meint, dass „Memento Mori“ so klingt, als würden wir ein Stück zurück zu unseren Wurzeln gehen. Vielleicht ist da ein bisschen was dran. Jedes unserer Alben ist zugleich immer eine Kombination aus Ideen. Es ist einerseits sehr elektronisch, wir nutzen aber auch Gitarre, Bass und Schlagzeug, und auf einer Reihe von Songs haben wir Streicher eingesetzt, die für eine epische Atmosphäre sorgen. Niemand sollte jedoch glauben, dass wir vor einer Albumproduktion große Konzepte entwerfen. Wir schreiben Songs, wir nehmen sie auf, und dann klingen sie, wie sie klingen. Ich schwöre, es ist kein Hexenwerk (lacht).

Das Jahr der Bandgründung ist 1980. Jetzt haben wir 2023. Blinzelt ihr gelegentlich schon bis zum 50. Dienstjubiläum nach vorne?

Gahan: Unsere Lieder sind für mich Lebensbegleiter. Und diese Band ist es auch. Jetzt gerade müsste ich mich anstrengen, mir ein Leben ohne Depeche Mode vorzustellen. Aber frag‘ mich nach der Tour nochmal (lacht).

Text: Steffen Rüth Bild: Anton Corbijn

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