Dina Summer ist ein gemeinsames Projekt von unserem Interviewpartner Kalipo (Jakob Häglsperger, einer Hälfte der legendären Electro-Punk-Band Frittenbude) und dem griechisch-deutschem DJ- & Produzenten-Duo Local Suicide, die auch das Label Iptamenos Discos betreiben. Das Berliner Indie-/Electro-Wave-Trio kehrt mit einer ordentlichen Portion Gothic-Synthpop zurück und präsentiert mit seinem düsteren, zweiten Album „Girls Gang“ insgesamt (Iptamenos/Believe) elf neue Stücke.
Mit welcher Musik bist Du aufgewachsen, welche Künstler, Künstlerinnen und Bands haben Dich inspiriert selber Musik zu machen?
Ich bin ein echtes Tapekid der 80er-Jahre. In dieser Zeit kam man kaum an Künstlern wie Michael Jackson vorbei. In den 90ern gab mir mein Vater dann zwei Kassetten, die mich nachhaltig beeinflussen sollten. Advanced Chemistry, die deutschen Hip-Hop-Pioniere und Ton Steine Scherben, deren Songs ich als Kind mochte, aber erst später wirklich verstand. Ihr Einfluss trug sicherlich auch zu meiner Punk-Prägung bei. In den frühen 2000er-Jahren entdeckte ich dann elektronische Musik für mich. Ein Schüsselmoment war das Album "Gesamtkunstwerk" von Dopplereffekt.
War der Umzug aus der niederbayerischen Provinz in die Bundeshauptstadt Berlin die richtige Entscheidung für Dich?
Definitiv! Mein Verhältnis zu Bayern war immer ambivalent, und ich habe nie eine starke lokale Verbundenheit oder Lokalpatriotismus verspürt. Natürlich bin ich dort aufgewachsen, und es gibt nostalgische Erinnerungen, aber ebenso viele Momente, in denen ich mich als Außenseiter wiedergefunden habe. In meinem Heimatdorf war Musik, Hip-Hop, Skaten oder Kiffen eher eine Randerscheinung, die nur wenige mit mir teilten. Heute habe ich das alles hinter mir gelassen und fühle mich in Berlin mehr zuhause als in Bayern.
Wie kam es zur Bandgründung von Dina Summer 2019. Brauchtest Du musikalische Abwechslung zu Frittenbude? Wie bist Du auf das Duo Local Suicide gestoßen?
2018 wollte ich mit Kalipo zurück zu meinen musikalischen Wurzeln, die eben auch im Punk und Electroclash liegen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits erste Beats fertig und suchte passende Vocals. Auf dem ´Rocken am Brocken´-Festival traf ich dann Max und Dina. Wir kannten uns zwar schon länger, aber dort kam die Idee auf, dass Dina mit ihrer markanten Stimme für einen dieser Beats die Vocals einsingen könnte. Nach ein paar Studiosessions entstanden gleich mehrere Songs, die 2019 zunächst als Kalipo feat. Local Suicide erschienen. Mit der Zeit wurde uns jedoch klar, dass wir hier ein eigenständiges Projekt geschaffen hatten.
Wo liegt die musikalische Weiterentwicklung zwischen dem Debüt „Rimini“ aus dem Jahr 2022 und dem aktuellen Album „Girls Gang“? Haben sich die musikalischen Schwerpunkte zwischen New Wave, Indie und Electro verschoben?
Unser erstes Album war geprägt von der Idee, Club Musik zu produzieren, die
wir selbst auflegen würden. Es war stark von Italo Disco und Electroclash beeinflusst. Die Songs trugen eine bestimmte Stimmung über längere Zeit, ähnlich wie bei einem guten DJ-Set oder einer langen Clubnacht. Bei unserem zweiten Album "Girls Gang" war unser Ansatz anders: Wir wollten Songs mit klassischen Strophe-Refrain-Strukturen schreiben und ein
zusammenhängendes Album erschaffen, ohne dabei den typischen Dina-Summer-Sound zu verlieren. Da war es naheliegend, neben den ganzen Synths auch mal zur Gitarre und zum E-Bass zu greifen. Herausgekommen ist ein vielseitigeres und etwas düsteres Album, in dem unsere Leidenschaft für Wave und Post-Punk noch deutlicher zum Ausdruck kommt.
Gibt es eine Art thematischen Faden auf „Girls Gang“, der die einzelnen neuen Stücke verbindet? Wer ist für die Texte zuständig und geht es inhaltlich nur um Unterhaltung oder mehr?
Die Texte stammen größtenteils von Dina, wobei es Songs wie „Schall & Rauch“ oder „Fomo“ gibt, an denen auch Max oder ich mitgeschrieben haben. Allerdings war es kein Konzeptalbum, bei dem wir von Anfang an ein übergeordnetes inhaltliches Thema im Kopf hatten. Die Texte entstanden eher nebenbei, und es gibt wiederkehrende Motive wie das Gefühl des Außenseitertums oder die Liebe. Im Gegensatz zu Frittenbude hat Dina Summer keine explizit politischen Inhalte. Natürlich kann man die Frage stellen: Was ist nicht politisch? Ist ein Song wie „Girls Gang“, der prägende weibliche Figuren der Goth-Szene feiert, nicht automatisch politisch? Aber Politik ist nicht die Motivation hinter Dina Summer.
Hast Du den ein oder anderen Lieblingstitel auf dem neuen Album und wenn ja, warum?
Ja, ich habe mehrere. Ganz klar „Girls Gang“! Im Entstehungsprozess war das anfangs einer der schwächeren Songs. Im Nachhinein wurde er dann zum Lead Song des Albums. Ich mag heute besonders seine Energie – er ist kraftvoll, aber dennoch zugänglich und weich. Auch „No More Tears“, der letzte Track des Albums, gehört zu meinen Favoriten.
Welche Bedeutung kommt der Stimme von Frontfrau Dina zu, die auf dem Album sehr
variabel agiert?
Mit ihrer markanten Stimme und ihrem griechischen Akzent steht sie absolut im Mittelpunkt. Sobald ein Song Vocals hat, bleiben diese automatisch am meisten hängen. Ich schätze besonders ihre Attitude. Gerade in elektronischer Musik mag ich eher Spoken-Word-Vocals – punkig, lässig eingesprochen – und darin ist sie eine Meisterin. Zu viel Melodie in Vocals kann mir schnell zu poppig werden, da bin ich raus! Aber auf dem neuen Album hat sie mich mit „Nothing to Hide“ auch eines Besseren belehrt: Da haut sie einen gewaltigen 80s-Hook-Refrain raus – welchen ich einfach nur geil finde. Diese Abwechslung tut dem Album unglaublich gut.
Dina Summer lebt neben der Studioarbeit vor allem durch eine energetische Bühnenpräsenz. Ist euch der direkte Kontakt zum Publikum besonders wichtig?
Für mich persönlich ist das Studio mein Hauptantrieb – ich liebe es, neue Songs zu schreiben. Aber natürlich machen Live-Auftritte auch riesen Spaß. Ich glaube, Max sieht das ähnlich. Wenn ich aber Dina sehe, muss ich sagen, dass sie auf der Bühne erst so richtig aufdreht und sie wirklich dafür geschaffen ist. Es beeindruckt mich jedes Mal, wie sie in jeder Situation den Schalter umlegt, selbstsicher die Bühne einnimmt und völlig ohne Scheu mit dem Publikum interagiert.
Es gibt auch den privaten Kalipo. Wobei entspannst Du von der täglichen Arbeit und
der Musik?
Gute Frage! Tatsächlich fühlt es sich oft so an, als wäre ich mit meinen drei Projekten, die alle gut laufen und zudem DIY sind, oft an meiner Belastungsgrenze. Ich nehme mir immer wieder vor, öfter mal Nein zu sagen, Dinge abzusagen oder abzugeben, wenn es zu viel wird – anstatt immer allem hinterherzulaufen und mich für alles verantwortlich zu fühlen. Wenn ich dann mal nicht unterwegs, sondern zu Hause bin, merke ich, wie sehr ich ein Familienmensch bin. Ich brauche den Trubel dann gar nicht mehr so, sondern freue mich einfach, wenn ich mal einen Tag komplett abschalten und wirklich nichts tun kann. Diese Momente sind wichtig für mich, um mich danach wieder mit Freude in all die Abenteuer stürzen zu können.
Bilder: Katja Ruge